Kürzung Gutachterkosten: BVSK-Honorbefragung oder Zeitaufwand?
Nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall haben Geschädigte das Recht, einen unabhängigen KFZ-Sachverständigen ihrer Wahl zu beauftragen. Die Kosten für dieses Gutachten muss die Versicherung des Unfallverursachers tragen. Doch in der Praxis erleben viele Geschädigte und Sachverständige, dass Versicherer die eingereichten Rechnungen kürzen – oft mit der in jüngerer Vergangenheit erfundenen Begründung, die Abrechnung müsse nach einem sogenannten "Zeitaufwandmodell" erfolgen.
Dieser Artikel beleuchtet, was hinter dieser Kürzungspraxis steckt, warum sie rechtlich problematisch ist und wie Sie sich als Geschädigter wehren können.
Das traditionelle Modell: Abrechnung nach Schadenshöhe
Seit Jahrzehnten ist es in der Branche üblich und von der Rechtsprechung weitgehend anerkannt, dass sich das Grundhonorar eines KFZ-Sachverständigen an der Höhe des ermittelten Schadens orientiert. Als anerkannter Maßstab für die Angemessenheit und Ortsüblichkeit der Kosten dienen dabei Honorartabellen, wie beispielsweise die regelmäßig durchgeführte Honorarbefragung des BVSK (Bundesverband der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen für das Kraftfahrzeugwesen e. V.).
Dieses System schafft Transparenz und orientiert sich am Marktwert der gutachterlichen Leistung. Gerichte nutzen diese Tabellen häufig als Indiz, um zu beurteilen, ob die abgerechneten Kosten im Sinne des § 249 BGB "erforderlich" waren.
Die neue Taktik einiger Versicherungen: Das fiktive Zeitaufwandmodell
Einige Versicherer, darunter prominente Namen wie die Allianz oder die Versicherungskammer Bayern (VKB) oder auch der Bayerische Versicherungsverband versuchen zunehmend, dieses etablierte System zu umgehen. Auch ist zu beobachten, dass gelegentlich kleinere Versicherungen diese Taktik testen. Anstelle der Abrechnung nach Schadenshöhe fordern sie eine Abrechnung nach einem fiktiven Zeitaufwand.
Dabei werden pauschale Zeitwerte für einzelne Arbeitsschritte des Gutachters angesetzt (z. B. 30 Minuten für die Fahrzeugbesichtigung, 45 Minuten für die Erstellung des Gutachtens). Diese Zeitwerte werden dann mit einem ebenfalls von der Versicherung bzw. von einem von der Versicherung beauftragen Prüfunternehmen wie etwa Control Expert festgelegten Stundensatz multipliziert. Das Ergebnis liegt fast immer deutlich unter dem Betrag, der sich nach den üblichen Honorartabellen ergeben würde. Rechnungskürzungen um mehr als 50 % sind keine Seltenheit.
Warum ist diese Praxis so problematisch?
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Mangelnde Transparenz: Woher diese Zeitwerte stammen und wie sie ermittelt werden, bleibt oft unklar. Sie spiegeln selten den tatsächlichen, komplexen Aufwand wider, der mit der Erstellung eines qualifizierten Gutachtens verbunden ist (inkl. technischer Recherche, Kalkulation, Kommunikation, Büro- und Softwarekosten).
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Ignoranz der Marktüblichkeit: Das Zeitaufwandmodell ist keine am Markt etablierte Abrechnungsmethode für KFZ-Haftpflichtgutachten. Es handelt sich um ein Konstrukt, das primär den Interessen der Versicherer dient, Kosten zu senken. Die Rechtsprechung fordert jedoch die Erstattung der ortsüblichen Vergütung, nicht einer von einer Partei einseitig diktierten.
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Fragwürdige Neutralität der Prüfdienstleister: Die Kürzungen basieren häufig auf Prüfberichten externer Dienstleister. Auffällig ist, dass an einigen dieser Prüfunternehmen die Versicherungswirtschaft selbst beteiligt ist. Dies wirft naturgemäß Fragen zur Unabhängigkeit und Objektivität der Prüfergebnisse auf.
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Verlagerung des Risikos: Der Verdacht liegt nahe, dass es sich hierbei um eine Strategie handelt, um Sachverständige und Geschädigte zu zermürben. Viele scheuen den Aufwand einer gerichtlichen Auseinandersetzung und akzeptieren die Kürzung notgedrungen.
Die rechtliche Einordnung
Die überwiegende Mehrheit der deutschen Gerichte folgt dieser Kürzungspraxis nicht. Immer wieder wird entschieden, dass die BVSK-Honorarbefragung ein geeigneter Maßstab zur Bestimmung der erforderlichen Gutachterkosten ist. Ein vom Versicherer einseitig vorgegebenes "Zeitaufwandmodell" wird in der Regel als ungeeignet angesehen, um die Ortsüblichkeit zu widerlegen. Dies ist auch naheliegend:
In einem vom RA Bartz geführten Rechtsstreit vor dem Amtsgericht Neustadt Weinstraße kam der gerichtlich bestellte Sachverständige zur Frage der Ortsüblichkeit und Angemessenheit eines an der BVSK-Honorarbefragung orientierten Grundhonorars zu folgendem Ergebnis:
Eine umfassende Befragung der KFZ-Sachverständigenbüros in Neustadt Weinstraße und 30 km Umgebung hat klar bestätigt, dass die markübliche und gängige Praxis die Abrechnung nach der BVSK-Honorartabelle ist. Das von den Versicherern propagierte "Zeitaufwandmodell" findet in der realen Marktpraxis schlicht nicht statt. Alle befragten KFZ-Gutachter orientieren sich bei ihrer Vergütung an der BVSK-Honorarbefragung.
Solche konkreten Beweise entkräften die pauschalen Behauptungen der Versicherer und machen es ihnen vor Gericht extrem schwer, mit ihrer Kürzungstaktik durchzudringen.
Was können Sie als Geschädigter tun?
Wenn die Versicherung die Rechnung Ihres Sachverständigen mit Verweis auf ein Zeitaufwandmodell kürzt, sollten Sie dies nicht akzeptieren.
- Informieren Sie Ihren Sachverständigen: Er wird die rechtlichen Hintergründe kennen und das weitere Vorgehen mit Ihnen besprechen.
- Nutzen Sie die Abtretung: Die meisten seriösen Sachverständigen schließen mit ihren Kunden eine "Abtretungsvereinbarung" ab. Damit treten Sie Ihren Anspruch auf Erstattung der Gutachterkosten an den Sachverständigen ab. Der Vorteil für Sie: Der Sachverständige kümmert sich um die vollständige Durchsetzung seiner Rechnung gegenüber der Versicherung, notfalls auch gerichtlich. Sie haben damit keinen weiteren Aufwand.
- Suchen Sie anwaltliche Hilfe: Ein auf Verkehrsrecht spezialisierter Anwalt kann Ihre Ansprüche wirksam durchsetzen. Die Kosten hierfür muss bei einem unverschuldeten Unfall ebenfalls die gegnerische Versicherung tragen.
Fazit: Die Kürzung von Sachverständigenhonoraren nach einem fiktiven Zeitaufwandmodell ist eine rechtlich fragwürdige Praxis, die primär der Kostensenkung der Versicherer dient. Geschädigte haben gute Erfolgsaussichten, sich gegen diese Kürzungen zu wehren und die vollständige Erstattung der Kosten durchzusetzen.